00:27 Archiv fuer Mediengeschichte 15: Medien des Heiligen | |
Deadline: Apr 30, 2015
Call for Papers
Archiv für Mediengeschichte 15 (2015):
"Medien des Heiligen"
Das 15. Heft des Archivs für Mediengeschichte widmet sich den Medien
des Heiligen. Als grundsätzliche Orientierung für die dafür erbetenen
Beiträge gilt der prinzipielle Verzicht auf jede wie auch immer
geartete theologische, soziologische oder anthropologische Theorie des
Heiligen, der zufolge das Heilige vorgängig in Gott, der Gesellschaft
oder im Menschen existierte und erst nachträglich durch und in Medien
repräsentiert würde. Vom medienhistorischen Standpunkt aus ist das
Heilige vielmehr unmittelbar mit Medien verknüpft, weil es immer schon
durch Medien konstituiert ist und mittels Medien verfertigt wird. Das
AMG geht also von der These aus, daß es das Heilige nicht jenseits der
Operationen gibt, durch die es hergestellt wird.
Jean-Luc Nancy hat in seinem Buch Am Grund der Bilder das Heilige
(sacré) der Religion gegenübergestellt und es als das Getrennte, das
Ausgegrenzte oder das Verschanzte definiert, die Religion dagegen als
das, was eine Verbindung zum abgetrennten Heiligen herstellt. Auf die
Operationen der Trennung, denen sich das Heilige verdankt, reagiert die
Religion mit diversen Praktiken der Verbindung. Mit der Bestimmung des
Heiligen als eines Abgetrennten oder Abgesonderten (Giorgio Agamben)
knüpft das AMG auch an Émile Benvenistes Bestimmung des sacrum an: als
das zugleich "den Göttern Geweihte" und das "mit einem unauslöschlichen
Makel Behaftete", das Erhabene und das Verfluchte, das
Verwehrungswürdige und das Schrecken Verbreitende, ein Gedanke, der
schon Georges Batailles Überlegungen zum Heiligen zugrunde lag.
Verstanden im Sinne eines Unberührbaren, einer Gewalt, der sich zu
nähern technische Mittel erfordert, transzendiert das Heilige die Welt
des Profanen sowie die Natur des Menschen. Weil das Heilige unmittelbar
mit Medien verknüpft ist, entsteht die von Sloterdijk beschriebene
"Vertikalspannung", die das "Übernatürliche" (Hohe) mit dem
"Unternatürlichen" (Niedrigen) in Beziehung setzt.
Im Einzelnen lassen sich ausgehend von den Basisoperationen des
Trennens und Verbindens sechs Felder von medialen Operationen und
Praktiken unterscheiden:
- erstens die Operationen der Verbergung und der ihr korrespondierenden
Enthüllung sowie der Schrecken oder die Enttäuschung, welche mit dem
Akt der Enthüllung verbunden sind. In diesem Sinne erweisen sich
Vorhänge (im Tempel, im Tabernakel) oder Türen als eminent wichtige
Medien des Heiligen.
- Dem wären zweitens Medien der Übertragung entgegenzusetzen, also das,
was man als "Geistkanäle" bezeichnen kann. Hierzu gehören Boten/Engel
(Michel Serres) ebenso wie Heilige Schriften in Verbindung mit
Praktiken der visionären Lektüre; die von Mircea Eliade so genannten
"Hierophanien"; Drogen, aber auch Kirchenfenster und Musik; oder das
Medium des Pneumas im Gegensatz zu Medien der Disziplinierung und
Institutionalisierung charismatischer, mystischer und epiphanischer
Beziehungen zum Heiligen.
- Drittens müssen die Medien der Übertragung und der Ver- und
Entbergung in Relation zu den Praktiken der Verkörperungen und
Einverleibungen des Heiligen gesetzt werden. Hierzu zählen alle Arten
der communio (Abendmahl, Liebesakt), Medien der Realpräsenz, Reliquien
und Reliquiare als Medien des Heiligen und die dazu gehörenden
Praktiken des Erst-, Zweit- und Drittkontakts (im Fall von Sekundär-
und Tertiärreliquien), Ikonen und andere Formen der Manifestation des
Heiligen im Bild (vera icon, Acheiropoieta).
- Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang viertens die konzeptuellen
Transfers zwischen den Operationsweisen des Heiligen (trennen,
verbergen, übertragen, kommunizieren) und den Grundbegriffen, mittels
derer die Fähigkeit von Medien bestimmt wird, das räumlich Entfernte
oder zeitlich (dauerhaft) Abwesende zu vergegenwärtigen oder zu
verkörpern: Das Heilige erweist sich somit nicht nur als ein
beliebiger Gegenstand der Medientheorie, sondern teilt mit ihr, in
säkularisierter Form, entscheidende Fragestellungen und
Problemhorizonte.
- Fünftens erscheinen die Medien des Heiligen gebunden an Semiotiken
oder Zeichenlehren. In diesem Kontext ist das Heilige im Zusammenhang
mit dem Monströsen und dem Wunder zu betrachten. Andere Zeichen, die
den Verkehr mit dem Heiligen regeln beziehungsweise darauf abzielen,
das Heilige wirksam werden zu lassen, sind z. B. die Sakramente oder
das Opfer. Auch die Formen des Verdikts und der Verfluchung, die das
sacrum als ein Monströses hervorbringen, gehören in diesen Kontext.
- Ein sechster Komplex schließlich betrifft die Rolle des Heiligen bei
der Gründung der Wissenschaften vom Menschen im 19. Jahrhundert. Sowohl
die Soziologie als auch die Ethnologie haben sich, man denke an Émile
Durkheim oder Marcel Mauss, nicht auf rationale soziale Praktiken wie
den Tausch bezogen, sondern auf irrationale Phänomene wie die Religion,
den Selbstmord oder das "hau". Der Umstand also, dass in die
Gründungsszene der Humanwissenschaften ein Bezug auf den irrationalen
"Abgrund" (Foucault) eingeschrieben ist, wirkt noch im 20. Jahrhundert
auf vielfältige Weise nach, etwa bei der Gründung des Collège de
Sociologie oder der Gruppe "Acéphale".
Um die Einsendung von Themenvorschlägen einschließlich Abstracts (bis
zu 2.500 Zeichen) und Kurzbiographien an die Redaktion
(dorothea.walzer@hu-berlin.de) wird bis zum 30.04. 2015 gebeten. Die
ausgearbeiteten Beiträge (bis zu 30.000 Zeichen) sollen bis zum
30.08.2015 bei der Redaktion eingehen.
Die Herausgeber
(Friedrich Balke, Bernhard Siegert, Joseph Vogl)
Weitere Informationen zum Archiv für Mediengeschichteunter:
http://www.uni-weimar.de/de/medien/forschung-und-kunst/archiv?fuer-
mediengeschichte/
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